Mittendrin im Nirgendwo

David Th. Schiller
VISIER
May 2004

Etwa 45 Autominuten westlich der Spielerund Freizeitmetropole Las Vegas liegt an der Nevada-Staatsstraße 160 nach Pahrump linker Hand mitten in der Wüste das Schießausbildungszentrum Front Sight Resort. Wer die Route nicht kennt, fährt schnell an der Abzweigung vorbei. Denn (noch) gibt es an der Hauptstraße kein Hinweisschild auf den als Freizeitpark mit Wohnanlage und Schießzentrum geplanten Lebenstraum des 44jährigen Dr. Ignatius Piazza. Der Hang des kalifernischen Physiotherapeuten zum Combatschießen und Selbstverteidigungstraining läßt sich auf ein traumatisches Ereignis in seinem Villenvorert bei Santa Cruz zurückführen: Vor 16 Jahren nahm eine Jugendgang in einem drive-by shooting (aus fahren den Autos heraus) die Nachbarschaft unter Feuer. Schlagartig wurde Piazza klar, wie wenig seine SportschützenKenntnisse ihm in einer solchen Situation helfen konnten. Mit großem Eifer besuchte er fortan Schießlehrgänge bei Experten wie Jeff Cooper, Clint Smith und Massad Ayoob. Chuck Taylor weckte sein Interesse an Maschinenpistolen, Pumpflinten und Militärgewehren. Und irgendwann reifte der Plan in ihm heran, sein eigenes SchießtrainingsInstitut aufzubauen. Die ersten PistolenLehrgänge begannen 1996 in Bakerfield, Kalifornien.

Der Nachbarstaat Nevada allerdings bot sich wegen seiner freizügigen Waffengesetze an. Dort dürfen auch Zivilisten vollautomatische Schußwaffen wie MPis und Sturmgewehre besitzen. So erwarb der erfolgreiche Chiropraktiker 1996 über,gwei Millionen Quadratmeter Wüstenland in der Nähe von Las Vegas, um dort Schießstände, Trainingsanlagen und eine Wohnsiedlung mit Golfkurs, Landebahn und Swimming Pools zu errichten. Das 25MillionenDollar-Projekt ist mittlerweile in der zweiten Bauphase: Ein großer Teil der Schießstände ist fertiggestellt, genauso wie der Klettergarten und ein Lehrsaal. Im Januar dieses Jahres begannen die Erdarbeiten für eine 300 mal 400 Meter große zweite Schießanlage. Bis zum Herbst sollen auch der SWATTurm für PolizeiEinsatzszenarien und eine 400 Meter lange unterirdische Tunnelanlage stehen. Dann beginnt die Arbeit an den LongrangeBahnen für ZF-Schützen.

Auch der Resort-Teil der FrontSight-Anlage entwickelt sich weiter. Mehr als ein Sechstel der 177 Parzellen ist schon verkauft. Erste Ferienhäuser und Wohnanlagen erkennt man außerhalb der Hörweite des Schießstandes. Im Januar 1999 starteten die ersten Schießkurse, und über mangelnde Nachfrage braucht sich Dr. Piazza nicht zu beschweren, obwohl er kaum Werbung betreibt.

Allerdings überraschte er die Fachwelt, als er zum Auftakt eintägige MPi-Kurse anbot kostenlos: Rund 3500 Interessenten nahmen daran teil und verbreiteten danach die Kunde von der ungewöhnlichen Idee des schießbegeisterten Doktors. Mittlerweile gehört Front Sight zu den führenden privaten Ausbildungszentren in den USA, wo auch Polizei und Militär üben: Nach dem Ende ihres Einsatzes in Afghanistan durchlief beispielsweise die 5th Special Forces Group hier die Practical Rifle — und Practical Pistol Kurse, bevor es in den Golfkrieg ging. Nicht umsonst hat ein großer Teil der rund 200 Front-SightInstrukteure und -Schießleiter eine militärische Vergangenheit oder langjährige Erfahrungen aus dem Polizeidienst. Und nicht wenige der bis dato über 20 000.Absolventen von FSKursen kamen aus dem Behördenbereich. Nach dem 11.9.2001 brachte Ignatius Piazza sein Front-Sight-Projekt in die Schlagzeilen. Er schlug vor, daß Piloten bei ihm kostenlose Pistolenseminare absolvieren könnten.

So ergab sich für mich auch die Möglichkeit, den Ablauf eines Gewehr-Kurses mit FSKunden zu beobachten, die nicht US-Bürger waren und fließend Englisch sprachen.

Dann das gleiche von zehn Meter Distanz, dann von 15 und 25 m. Zwischendurch darf auch mal die Full-autoStellung des Sicherheitsflügels am M 4 zur Geltung kommen. Aber auch der kürzeste Feuerstoß auf die nahe und mittlere Distanz zeigt, wie schnell die Treffergruppe auseinandergehen kann. Diese Lehre wird am Nachmittag auf einer erhöhten Position über einem mit diversen Metallscheiben in verschiedenen Entfernungen von 80 bis 250-350 Meter angefüllten Cañon unterstrichen. Dauerfeuer hört sich zwar gut an, stellt aber in den meisten Lagen nur Munitionsvergeudung dar. Ein Durchgang in einer als Simulator bezeichneten Schlucht mit plötzlich auftauchenden Scheiben rundet den Tag ab. Jeder hat Spaß und das Gefühl, etwas gelernt zu haben: Die Front-Sight-Kurse kosten je nach Länge 400 bis 1200 Dollar, aber es gibt auch Rabatte und Schnäppchen im Web. Die Termine stehen hier: Front Sight.

Spiritus rector: Dr. Ignatius Piazza verwirklichte sich mit der Front-Sight-Anlage in Nevada einen Lebenstraum. Der Physiotherapeut startete sein erstes Schießinstitut 1996 in Kalifornien.

Klettergarten: Nicht nur Spezialeinheiten und Polizisten trainieren an den Türmen und Abseileinrichtungen, hier finden auch mit großem Erfolg Selbsterfahrungskurse für Jugendliche, Manager und Firmenteams statt.